3. August 2014: Der Feind in mir

Ich würde auf meinem Bleistift herumkauen, wenn ich einen hätte. Doch da ich lieber mit der Tastatur schreibe, habe ich keinen zur Hand.

 

Die Aufgabe, die vor mir liegt, scheint zu groß für mich zu sein. Ich versuche die Frage zu klären, wie ich künftig meinen Lebensunterhalt sichern will. Viel Sinnvolles fällt mir dazu nicht ein, was aber auch nicht anders zu erwarten ist. Wenn es so leicht wäre, eine gute Antwort darauf zu finden, dann hätte ich schon vor Jahren ein neues Berufsleben begonnen! Also wie um Himmels Willen soll jetzt plötzlich, wie aus dem Nichts, die Erleuchtung über mich kommen?

 

Doch da! Als ich schon nicht mehr daran glaube, zeigt sich ein erster sinnvoller Gedanke: Wer sagt eigentlich, dass ich unbedingt mit ehrlicher Arbeit Geld für meinen Lebensunterhalt heranschaffen muss? Ich könnte doch schließlich auch einen reichen Mann heiraten oder Lotto spielen!

 

Da ich schon einen Lebensgefährten habe, der allerdings nicht reich ist, surfe ich sogleich auf die Website der Lotteriegesellschaft und fülle am Bildschirm einen Lottoschein aus, gleich für vier Wochen, die Samstags- und die Mittwochs-Ziehung.

 

Geschafft!

 

Zufrieden mit mir lasse ich mich in meinen Schreibtischstuhl zurückfallen. Der erste Schritt zur Existenzsicherung ist getan!

 

Bei diesem hoffnungsfrohen Ansatz bleibt es jedoch. Auch, nachdem ich mir noch einen Kaffee geholt habe, komme ich nicht weiter. Schließlich wird mir klar, dass es auch gar nicht „nur“ um eine neue Stelle oder einen neuen Beruf geht, der mein Leben stabilisiert und ein Einkommen sichert. Es geht um so viel mehr! Zunächst einmal habe ich „nur“ meinen Job gekündigt … doch was ist mit meinem übrigen Leben? Passt das noch? Was gibt mir momentan Halt und was ist nur eine weitere Belastung meines angeschlagenen Seelenlebens? Muss ich mich von mehr trennen als „nur“ dem Job?

 

Schnell bin ich mitten drin, alles auf den Prüfstand zu stellen. Nicht nur die berufliche Existenzsicherung, auch alle anderen Lebensbereiche werden auf einmal zu einem Objekt, das ich analysiere, um zu begreifen, was eigentlich passiert ist, warum ich zusammenbrach und wie ich zu meinem Leben stehe. Alles, was eben noch selbstverständlich war, ist es plötzlich nicht mehr. Irgendwie ist wohl nicht nur mein Beruf weggebrochen, sondern mein ganzes Umfeld scheint zu wanken, zu bröseln, sich aufzulösen. Dringend brauche ich festen Boden unter den Füßen, und dafür muss ich dort hinsehen, wo es weh tut. Nur so, das spüre ich deutlich, kann es gelingen, auch in die Zukunft zu schauen.

 

Also schreibe ich zu allen Lebensbereichen auf, was ist, mache eine Bestandsaufnahme, wie ich es nenne. Und schon bald, nach den ersten holperigen Sätzen, fliegen die Wörter fast wie von selbst aufs Papier – übersät mit Tippfehlern, die mich in meinem Mitteilungswahn an den Rechner allerdings nicht tangieren. Ich schreibe bis ich leer bin. Das klappt richtig gut!

 

Ermutigt durch diesen Anfangserfolg bei der Klärung meiner Situation versuche ich nun, erste Gedanken dazu zu entwickeln, wo ich hin will, was Ziele für mein zukünftiges Leben sein können – und sofort ist es vorbei mit der Leichtigkeit des Schreibens. Plötzlich zieht dichter Nebel in meinem Hirn auf und lässt alle zaghaft gedachten Perspektiven hinter dicken Schwaden verschwinden. Auf einmal ist es unmöglich, Ziele zu formulieren, die nicht trivial und kraftlos anmuten, diffus und unrealistisch daherkommen und die es wert zu sein scheinen, „Ziel“ genannt zu werden. Selbst dann, wenn es mir gelingt, etwas in die Tastatur zu tippen, so verliert es in dem Moment, wo es geschrieben wird, schon jede Kraft, fühlt sich unendlich abgedroschen, weit hergeholt oder einfach überhaupt nicht mehr erstrebenswert an.

 

Was ist los?

 

Glücklicherweise habe ich in meinem Leben schon genügend Ratgeberliteratur zur Lebenshilfe gelesen um bald zu realisieren, dass dieser Zustand völlig normal ist. Ich weiß um die inneren Widerstände, die auftauchen, wenn man weitreichende Änderungen seines Lebens plant. Sie wollen vor dem beschützen, was man ersehnt, weil das Ersehnte ja so gefährlich ist. Jedenfalls für irgend so ein Urdingsda im Gehirn. Dabei schrecken sie auch nicht davor zurück, selbst die schüchternsten Pflänzchen der Hoffnung gnadenlos plattzumachen. Das ist der Job dieser inneren Instanz und es wäre naiv anzunehmen, dass auch sie sich nach meinem Zusammenbruch plötzlich beruflich neu orientiert hätte. Diese Widerstände, die mich schon immer davon abgehalten haben, mein Leben so zu leben, wie ich es eigentlich leben will, haben natürlich nur auf meinen mutigen Vorstoß gewartet, um alle Zukunftspläne dem Erdboden gleich zu machen!

 

Es ist nicht leicht, jetzt weiterzumachen. Denn obwohl ich all das weiß, entfalten die Lebensplanverhinderer ihre Wirkung. Meine einzige Verteidigungsmöglichkeit ist, sie soweit es geht zu ignorieren. Deshalb schreibe ich weiter, auch wenn alles, womit ich den Bildschirm fülle, komplett sinnlos, unattraktiv, unrealistisch oder diffus erscheint.

 

Ich weiß, dass ich Geduld brauche, und ich hoffe, dass es irgendwann leichter wird, Ziele zu finden und sie zu mögen. Vorerst kann ich nur weitermachen in dem Wissen, dass alles besser ist, als mich vom Nebel der Perspektivlosigkeit im Sumpf der Hoffnungslosigkeit versenken zu lassen. Irgendwann wird es besser werden!

 

Der innere Widerstand bei der Arbeit.